Wiener Ballkultur

Written by on 23. Januar 2018

Wiens Bälle sind eine kulturelle Einzigartigkeit. Musik, Gesellschaft und Tradition prägen die Ballsaison und ziehen jährlich Touristen aus Österreich, aber auch aus dem Ausland in die Metropole. Für die aktuelle Saison 2017/18 wird ein Rekord von 505.000 Besuchern erwartet.

Das Märchen

Die Tanztradition in Wien ist einzigartig, wie die Autorin Steffi Maria Schlinke auch mit dem Titel ihres Buches „So tanzt man nur in Wien“ festgestellt hat. Auf über 450 Bällen, unter anderem in prächtigen Locations wie der Hofburg, dem Rathaus oder dem Musikverein, wird getanzt und gefeiert, werden aber auch Geschäfte abgeschlossen und Kontakte gepflegt.

Einzug des Eröffnendenkomitees Opernball 2017

Einzug des Eröffnendenkomitees des Opernballs 2017. / Quelle:Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

„Was halten Sie von der Wiener Ballkultur?“

 

Für viele Debütanten und Debütantinnen geht ein Traum in Erfüllung, wenn sie im Frack und im weißen Kleid einen der großen Bälle eröffnen. Ein bisschen ist es für die Österreicher eine Erinnerung an die glanzvollen Zeiten der Monarchie. Denn das Protokoll und der Ablauf sind im Wesentlichen dieselben geblieben – die feierliche Eröffnung, die Mitternachtsquadrille und der Galopp danach, die Quadrille um 2 Uhr Früh, der Dresscode, die Damenspende. Neu sind die Discos, in denen sich oft das jüngere Publikum drängt. Alle Ballbesucher als Monarchisten und Monarchistinnen und den Habsburgern Nachtrauernde zu bezeichnen wäre aber verkehrt. Viel eher sind sie Nostalgiker und Nostalgikerinnen, die stolz auf die eigenen Kulturgeschichte sind und gerne für einen Abend in ein kleines Märchen eintauchen.

Und schließlich macht die Ballsaison die eher trüben und kalten Wintermonate zu einem gesellschaftlichen Ereignis. In Köln und Düsseldorf wird Karneval gefeiert, in Wien wird im Fasching Walzer getanzt. Am 11.11. um 11:11 Uhr, zu Faschingsbeginn, wird am Graben der erste Walzer der Saison getanzt.

 

Pia Miller-Aichholz‘ Beitrag zum Thema:

Die Geschichte

Im 19. Jahrhundert kommen die ersten der heute bekannten großen Wiener Bälle auf. 1815 steigt der erste vom Techniker-Kränzchen-Comité organisierte Ball, auf den der heutige Ball der Technischen Universität Wien und der heuer 130 Jahre alte Ball der Industrie und Technik  zurückgehen. Der Presseclub Concordia veranstaltet 1863 den ersten eigenen Ball. Die Vorgängerin des Opernballs, die Hofopern-Soirée, findet 1877 erstmals statt. 1899 lädt die Studentenverbindung Rudolfina zu einem Maikränzchen, aus dem letztlich die Rudolfina-Redoute hervorgeht.

Gemälde von Wilhelm Gause, auf dem eine Szene des Balles der Stadt Wien im Rathaus abgebildet ist.

Als Gegenveranstaltung zu den exklusiven Bällen am Kaiserhof etabliert sich 1890 der Ball der Stadt Wien im Rathaus. Diese Ballszene hat Wilhelm Gause (1853-1916) im Jahr 1904 gemalt.

Um 1814/15 ist auch der Walzer in der feineren Gesellschaft angekommen. Davor gilt er als unsittlicher Tanz. Kritikern ist die körperliche Nähe der Tanzenden und der schnelle 3/4-Takt ein Dorn im Auge. Aber spätestens seit Metternich im Rahmen des Wiener Kongresses rauschende Ballfeste organisiert.

Charles de Ligne, französischer Diplomat, in einem Brief aus Wien nach Hause: „Der Kongress tanzt viel, aber er geht nichtweiter.“

Die Kontroverse

Zwei Jahre lang stand die Wiener Ballkultur auf der Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich der UNESCO – konkret waren 17 Bälle aufgeführt. Doch schon 2012 wurden sie wieder von der Liste gestrichen. Grund dafür war, dass auch Ball des Wiener Korporationsrings, kurz WKR-Ball, unter den gelisteten Bällen war. Er wurde von farbentragenden und Großteils schlagenden Burschenschaften organisiert. Das passe nicht mit den Werten der UNESCO zusammen, sagte die österreichische UNESCO-Kommission.

Fotografie des Festsaal-Traktes der Wiener Hofburg

Der Festsaal-Trakt der Hofburg / Quelle: Gryffindor via Wikicommons

Die Betreiber der Hofburg beschlossen, die Räumlichkeiten nach 2012 nicht mehr an den WKR zu vermieten. Deshalb findet seit 2013 als Nachfolgeveranstaltung der Wiener Akademikerball statt. Er wird nun von der FPÖ organisiert. Die öffentliche Debatte ist aber seitdem nicht abgebrochen. Sollte ein Ball, auf dem sich Anhänger der rechten und nationalistischen Parteien Europas treffen und vernetzen, in der Hofburg stattfinden dürfen? Einem Ort, der für die österreichische Geschichte und Politik so bedeutend ist, wie kaum ein anderer?

 

„Was halten Sie vom Akademikerball und sollte er in der Hofburg stattfinden dürfen?“

 

Jedes Jahr wird am Tag und Abend des Akademikerballs ein Platzverbot um die Hofburg ausgesprochen und die Innenstadt großräumig abgesperrt. In den vergangenen Jahren machten die Anti-Akademikerball-Demos Schlagzeilen, unter anderem weil aus dem Ausland Mitglieder des linksextremen Schwarzen Blocks angereist waren und für Chaos sorgten. Als Alternative zur Demonstration und Gegenveranstaltung zum Akademikerball hat sich der Good-Ball etabliert, der seit 2009 am selben Abend stattfindet. Der Erlös geht an gemeinnützige Organisationen.

 

Judith Graf’s Beitrag zum Thema zum Nachhören:

Die Legende

Bild von Redakteurin Viktoria Posch und Lotte Tobisch-Labotýn im Studio

Quelle: Pia Miller-Aichholz

Eine Dame, die die Österreichische Ballkultur geprägt hat, ist Lotte Tobisch-Labotýn (*1926). Sie war 15 Jahre lang die Organisatorin und Ballmutter des Opernballs, eigentlich aber Schauspielerin. Sie trat im Burgtheater, im Volkstheater und in der Josefstadt auf, spielte aber auch in einigen Filmen und erhielt 1986 den Ehrenring des Burgtheaters. 2007 erhielt Frau Tobisch-Labotýn die Goldene Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien. Rudolf Scholten, Wissenschaftsminister von 1994 bis 1997, verlieh ihr die Berufsbezeichnung Professor.

Heute engagiert sich Frau Tobisch-Labotýn für Sozialprojekte. Beispielsweise leitet sie in Baden das Hilde Wagener Altersheim für den Verein „Künstler helfen Künstlern“.

Lotte Tobisch-Labotýn im Gespräch mit Victoria Posch

 

Den Ballkalender für die aktuelle Saison finden Sie hier.

Musikstücke aus Pia Miller-Aichholz‘ Beitrag (nur on air zu hören):

  • Frühlingsstimmen (op. 410), Walzer von Johann Strauß Sohn
  • An der schönen blauen Donau (op. 314), Walzer von Johann Strauß Sohn
  • Wiener Bürger (op. 419), Walzer von Carl Michael Ziehrer
  • Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust (op. 263), Walzer von Josef Strauß

In der Live-Sendung wurden in der Mitte des Studiointerviews 2 Touren (L’Été und La Poule) der Fledermaus-Quadrille (op. 363) von Johann Strauß Sohn gespielt.


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